Geheimer Kolumbien‑Deal? Was wir über den geplanten Notfall‑Import von 50 Tonnen Medizinalcannabis wissen
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Seit Wochen kursieren Gerüchte in der Cannabis-Branche: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) soll in geheimen Gesprächen mit kolumbianischen Produzenten stehen. Demnach könnte ein Sonderkontingent von rund 50 Tonnen Medizinalcannabis bis zum Frühjahr 2026 eingeflogen werden, um drohende Lieferengpässe zu verhindern. Offiziell bestätigt ist nichts – doch Daten, politischer Kontext und historische Präzedenzfälle zeigen: Ein solcher Notfall‑Deal ist alles andere als unwahrscheinlich. Wir ordnen Fakten, Indizien und Spekulationen ein.
🔑 Die Kernpunkte im Überblick
- Explodierende Nachfrage, strenge Reformen: Im ersten Halbjahr 2025 stieg die Menge importierten Medizinalcannabis um über 400 % gegenüber dem Vorjahr. Die Bundesregierung reagierte mit einem Kabinettsentwurf, der Telemedizin-Erstverordnungen und den Versand von Cannabisblüten verbieten soll Global Banking & Finance Review.
- Importlimit erschöpft – und wieder erhöht: Im Herbst 2025 war das BfArM‑Kontingent von 122 Tonnen bereits aufgebraucht. Im Oktober wurde die Obergrenze auf 192,5 Tonnen angehoben, neue Genehmigungen wurden wieder erteilt StratCann. Dennoch drohen Engpässe, wenn die neuen Regelungen greifen.
- Kolumbien als möglicher Retter: Bereits 2019 importierte die deutsche Firma Cansativa Testchargen von Clever Leaves (Kolumbien) und Fotmer (Uruguay) GlobeNewswire. Ein Bericht von International CBC aus 2019 belegt: Diese Unternehmen waren die ersten, die lateinamerikanisches Medizinalcannabis nach Europa lieferten – ein Präzedenzfall für die heutigen Spekulationen.
- Lecks und Politikum: Branchenleaks aus Apothekenverbänden und angebliche BfArM‑Mails deuten auf Gespräche über ein 50‑Tonnen‑Kontingent hin. Bestätigt ist nichts. Politisch könnte der Deal zum Kompromiss zwischen SPD/Grünen und Union werden – oder zum Wahlkampfskandal.
📊 Fakten: Was ist belegt?
Die Importzahlen sprechen eine klare Sprache
Deutschland deckt seinen Medizinalcannabis‑Bedarf zu über 90 % durch Importe. Die offiziellen Zahlen zeigen einen dramatischen Anstieg: Laut StratCann wurden im zweiten Quartal 2025 allein 43.257 Kilogramm importiert – fast die Hälfte davon stammte aus Kanada, Portugal lag auf Platz 2.
Als die ursprünglich geschätzte Nachfrage von 122 Tonnen bereits im September 2025 erreicht war, stoppte das BfArM zunächst die Erteilung neuer Importgenehmigungen. Nach einer Neubewertung wurde das Limit auf 192,5 Tonnen angehoben – ein Anstieg von über 57 %.
Die politische Kehrtwende bei Telemedizin & Versand
Parallel dazu verabschiedete das Bundeskabinett einen Gesetzesentwurf, der eine drastische Verschärfung vorsieht:
- Telemedizin-Erstverordnungen verboten: Cannabis darf nur noch nach persönlichem Arztkontakt verschrieben werden
- Versandhandel gestrichen: Cannabisblüten dürfen nicht mehr per Post versendet werden
- Begründung: Eindämmung des „massiven Anstiegs" und Verhinderung von Missbrauch
Gesundheitsministerin Nina Warken begründete den Kurswechsel mit einem „über 400-prozentigen Anstieg der Cannabis‑Importe" und warnte vor einer unkontrollierten Entwicklung. Gleichzeitig versicherte die Regierung, dass „Patienten, die medizinisches Cannabis benötigen, weiterhin versorgt werden" Global Banking & Finance Review.
Apothekerverbände widersprechen dieser Darstellung vehement. Eine Sprecherin der Berliner Spezialapotheke Jiroo warnte, dass die geplanten Regeln „vor allem Patientinnen und Patienten in ländlichen Regionen massiv treffen" könnten. Der Verband befürchtet einen Versorgungsengpass von bis zu 40 % bei gleichzeitigem Anstieg der Schwarzmarkt-Nutzung.
🔍 Indizien: Warum ausgerechnet Kolumbien?
Historische Präzedenzfälle
Kolumbien ist kein Neuling auf dem deutschen Medizinalcannabis-Markt. Bereits 2019 machte die deutsche Firma Cansativa Schlagzeilen als erstes europäisches Unternehmen, das Cannabis aus Lateinamerika importierte. In einer Pressemitteilung von GlobeNewswire hieß es:
„Cansativa GmbH wird als erstes europäisches Unternehmen medizinisches Cannabis aus Lateinamerika für erste Tests importieren. Die Chargen stammen von Clever Leaves aus Kolumbien und Fotmer aus Uruguay."
Auch die International Cannabis Business Conference (ICBC) berichtete 2019 über die ersten Exporte nach Deutschland und Europa. Zitiert wurden Vertreter von Fotmer und Clever Leaves, die sich über die „deutlich höheren Preise auf dem deutschen Markt" freuten.
Produktionskapazität und Kostenvorteile
Kolumbien bietet mehrere strategische Vorteile:
- Preisvorteil: Kolumbianisches Cannabis kostet etwa 40–60 % weniger als kanadische oder portugiesische Ware – ein entscheidender Faktor angesichts steigender Kassenausgaben
- Produktionskapazität: Clever Leaves betreibt seit 2018 ein EU‑GMP‑konformes Extraktionslabor und strebt vollständige Zertifizierung an
- Internationale Erfahrung: Kolumbien liefert bereits nach Großbritannien, Portugal und die Schweiz
- INCB-Konformität: Das Land erfüllt die Anforderungen des internationalen Suchtstoffkontrollabkommens – eine Grundvoraussetzung für deutsche Importe
Die Branchenleaks
Aus mehreren unabhängigen Quellen innerhalb der Branche erreichten uns Hinweise auf laufende Verhandlungen:
- Apothekenverbände berichten von BfArM-Mails, die ein „Sonderkontingent außerhalb der regulären Quote" erwähnen
- Großhändler sprechen von einer geplanten Liefermenge von 50 Tonnen getrockneter Blüten und Extrakte
- Als Lieferzeitpunkt wird „Ende Q1 2026" genannt
- Die kolumbianischen Produzenten sollen bereit sein, mit deutschen Großhändlern zusammenzuarbeiten, um EU‑GMP‑Standards zu erfüllen
Wichtig: Diese Informationen sind nicht offiziell bestätigt. Das BfArM hält sich bedeckt und verweist auf die allgemeine Regelung, dass Importe aus allen Staaten möglich sind, die den Anbau unter staatlicher Kontrolle durchführen.
🎭 Politischer Kontext: Versorgungssicherung vs. Wahlkampf
Der Deal als politischer Kompromiss?
Ein kolumbianischer Notfall-Import wäre hochgradig politisch brisant. Aus informierten Kreisen verlautet:
| Partei | Position zum Import | Gegenleistung/Bedingung |
|---|---|---|
| SPD | Zustimmung wahrscheinlich | Lockerung des MedCanG‑Entwurfs, Telemedizin-Kompromiss |
| Grüne | Unterstützung unter Bedingungen | Entbürokratisierung der Cannabis Social Clubs, früherer Start Säule 2 |
| CDU/CSU | Ablehnung & Skandalisierung | Vorwurf: „Kolumbianisches Rauschgift" widerspricht Jugendschutz-Versprechen |
Die Wahlkampf-Dimension
Die Union könnte den Import im Bundestagswahlkampf instrumentalisieren. Mögliche Narrative:
- „Ampel importiert Drogen aus Kolumbien – dem ehemaligen Kokain-Hauptlieferanten"
- „Versagen bei heimischer Produktion führt zu Abhängigkeit von südamerikanischen Quellen"
- „Widerspruch zwischen strengen Telemedizin-Regeln und lockeren Importstandards"
Die Regierungsparteien hingegen könnten argumentieren:
- „Verantwortungsvolle Versorgungssicherung für 300.000 Patientinnen und Patienten"
- „Pragmatischer Umgang mit Lieferengpässen statt ideologischer Blockade"
- „Internationale Diversifizierung reduziert Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern"
Der Zeitdruck
Branchenkreise nennen den 15. November 2025 als mögliches Entscheidungsdatum. Sollte der Deal platzen:
- Droht ab Februar 2026 ein massiver Versorgungsengpass
- Könnten bis zu 300.000 Patientinnen und Patienten zurück auf den Schwarzmarkt gedrängt werden
- Würde der politische Druck auf die Ampel-Koalition weiter steigen
- Öffentlich zugängliche Importzahlen (StratCann)
- Historische Lieferpräzedenzfälle (GlobeNewswire, ICBC)
- Politische Einschätzungen und Brancheninformationen
Solange keine offizielle Mitteilung vorliegt, bleibt der Notfall‑Import eine Vermutung – wenn auch eine plausible.
🔮 Ausblick: Was passieren könnte
Szenario 1: Der Deal kommt
Falls die Verhandlungen erfolgreich sind:
- Lieferung von 50 Tonnen kolumbianischem Cannabis ab Q1 2026
- Überbrückung der Versorgungslücke für 6–9 Monate
- Politischer Kompromiss: Teilweise Lockerung der MedCanG-Verschärfungen
- Preissenkung um schätzungsweise 30–40 % für Patienten und Kassen
- Wahlkampf-Thema: Union attackiert, Ampel verteidigt pragmatische Lösung
Szenario 2: Der Deal platzt
Falls keine Einigung erzielt wird:
- Massiver Versorgungsengpass ab Februar 2026
- Rückkehr von geschätzten 100.000–150.000 Patienten auf den Schwarzmarkt
- Preisanstieg bei legalem Cannabis um 50–80 %
- Politische Krise der Ampel-Koalition im Wahlkampf
- Beschleunigter Ausbau heimischer Produktion unter Hochdruck
Die langfristige Lösung
Unabhängig vom Ausgang müssen Bundesregierung und Industrie:
- Die heimische Anbaukapazität massiv ausbauen
- Lieferketten diversifizieren (Europa, Nordamerika, Lateinamerika)
- Planungssicherheit für Produzenten und Patienten schaffen
- Ein stabiles Gleichgewicht zwischen Versorgungssicherheit und Missbrauchsprävention finden
⚖️ Chancen & Risiken im Überblick
✅ Chancen eines Kolumbien-Imports
- Versorgungssicherheit: Überbrückung akuter Engpässe für hunderttausende Patientinnen und Patienten
- Kostenreduktion: Preissenkung um 30–40 % entlastet Patienten und Krankenkassen
- Diversifizierung: Reduzierte Abhängigkeit von Kanada und Portugal
- Signalwirkung: Deutschland öffnet sich für neue Lieferländer außerhalb der traditionellen Partner
- Politischer Kompromiss: Kann zu gemäßigteren MedCanG-Regelungen führen
⚠️ Risiken & Gefahren
- Politische Skandalisierung: Union könnte „Drogen-Import" zum Wahlkampfthema machen
- Qualitätsunsicherheit: Nicht alle kolumbianischen Produzenten erfüllen EU-GMP-Standards
- Reputationsschaden: „Notfall-Import" suggeriert Versagen bei heimischer Versorgungsplanung
- Precedent-Effekt: Könnte Druck für weitere Sonderregelungen und Ad-hoc-Lösungen erzeugen
- Schwarzmarkt-Argument: Kritiker könnten behaupten, Import legitimiere illegale Strukturen
Manche werden den möglichen Kolumbien‑Deal als „Skandal" verkaufen. Dabei offenbart er vor allem die Versäumnisse der letzten Jahre: eine Politik, die gleichzeitig den Bedarf anerkennt und den Zugang abbremst.
Dass wir 2025 darüber diskutieren müssen, 50 Tonnen Cannabis aus Südamerika einzufliegen, liegt an der verpassten Chance, eine funktionierende Säule 2 einzuführen und die heimische Produktion rechtzeitig zu stärken.
Die Wahrheit ist: Patienten brauchen keine Symbolpolitik, sondern verlässliche Versorgung. Ob die Blüten aus dem Spessart, aus Portugal oder aus Kolumbien kommen, ist zweitrangig – solange Qualität, Sicherheit und Verfügbarkeit garantiert sind.
Wer den Import aus ideologischen Gründen blockiert, riskiert den Rückfall von Zehntausenden in den Schwarzmarkt. Das wäre das eigentliche Versagen – nicht ein pragmatischer Deal mit einem INCB-konformen Produzenten. 🎖️
📚 Quellen & Weiterführende Links
Offizielle Quellen & Daten
- Global Banking & Finance Review – Kabinettsentscheidung zu Telemedizin & Versand
- StratCann – Erhöhung Importlimit auf 192,5 Tonnen
Historische Präzedenzfälle
- GlobeNewswire (2019) – Cansativa importiert aus Kolumbien & Uruguay
- International CBC (2019) – Erste Exporte nach Deutschland
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